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Jiddu Krishnamurti & die Theosophische Gesellschaft

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Auf die Frage danach, ob Jiddu Krishnamurtis (K) Lehren eine Trotzreaktion auf sein Aufwachsen innerhalb der “Theosophischen Gesellschaft” (TG) war und ob er deshalb so energisch gegen systemische Spiritualität agiert und gesprochen hat:

Es ist sicher nicht ganz einfach, das aufzudröseln. Einerseits hat Ledbeater gesagt, er habe in der Aura des jungen K keine Anzeichen für ein Selbst gesehen, als er ihn der Theosophischen Gesellschaft vorgestellt hat. Aber wer weiß schon, was da wirklich ablief. Ein Kind seiner Familie wegzunehmen, aus dem Land zu schaffen, in mehreren fremden Ländern einer fremden schulischen Bildung zu unterziehen und dann in ein System einzupflegen, in dem das Kind der Heiland, der Maitreya, der Weltlehrer sein soll, grenzt nicht nur an eine Vergewaltigung eines kindlichen Geistes, sondern ist genau das und muss seine Spuren in diesem Kind hinterlassen (siehe hierzu auch die Klage des Vaters gegen Annie Besant: Besant v. Narayaniah). K hat dennoch recht lange die Theorien der TG gelehrt, sagte aber selbst, dass das eher daran lag, dass man ihm das so beigebracht hat und weniger daran, dass er selbst wirklich an die Dinge geglaubt hat (vgl. hierzu auch die Dialoge mit Alain Naudé, vor allem der zweite Dialog aus Malibu, 1972: On Masters & Hierarchy).

Als er dann im Erwachsenenalter die Erkenntnis hatte, dass das Zeitlose keinen Zugang über zeitliche Vorgänge haben kann, musste er die TG konsequenterweise auflösen, was scheinbar einen immensen Rattenschwanz nach sich zog, da unheimlich viele Immobilien und Reichtümer auf ihn übertragen wurden. Die Rede, der die Auflösung folgte, ist tatsächlich noch online zu sehen. “Truth is a Pathless Land” ist wahrscheinlich sein prägendstes Zitat. Aber selbst nach der Auflösung war er weiterhin mit Annie Besant in Kontakt und anscheinend auch befreundet.

“I maintain that truth is a pathless land, and you cannot approach it by any path whatsoever, by any religion, by any sect. That is my point of view, and I adhere to that absolutely and unconditionally. Truth, being limitless, unconditioned, unapproachable by any path whatsoever, cannot be organized; nor should any organization be formed to lead or coerce people along a particular path. … This is no magnificent deed, because I do not want followers, and I mean this. The moment you follow someone you cease to follow Truth. I am not concerned whether you pay attention to what I say or not. I want to do a certain thing in the world and I am going to do it with unwavering concentration. I am concerning myself with only one essential thing: to set man free. I desire to free him from all cages, from all fears, and not to found religions, new sects, nor to establish new theories and new philosophies.”

J. Krishnamurti, 1929

Sein Lebensziel war es, die Menschen absolut und unbedingt zu befreien. Und dazu gehört für ihn in erster Linie die Freiheit von Konzepten, von Ideen, von Systemen, die irgend etwas zu erklären versuchen, was sich dem Denken eigentlich entzieht, da das Denken schließlich in die Wahrheit eingebettet ist und diese daher nicht erfassen und entsprechend nicht organisieren kann.

Ich denke aber, dass K trotz allem auch das war, was man von ihm erwartet hat. Wer selbstlos ist, wird sich sicherlich nicht als großen Weltlehrer bezeichnen, auch wenn er es ist (mal davon abgesehen, dass er selbst nie verneint hat, der Weltlehrer zu sein, noch hat er es bejaht; Diese Angelegenheit war für ihn einfach irrelevant). Zeitlich gesehen kam er wahrscheinlich auch zum richtigen Zeitpunkt (gegen Ende des Fische-Zeitalters) und ich glaube seine Aufgabe war es, ein Zeitalter einzuläuten, in dem die Menschheit lernt, ihren Mentalkörper vernünftig in Besitz zu nehmen – um es mit den Worten der okkulten Esoterik auszudrücken. Noch sind wir – denke ich – größtenteils physisch und emotional polarisiert, während der Intellekt gerade in der aktuellen Zeit komplett wild geworden ist, was sicherlich auch eine Reaktion auf knapp 1500 Jahre Unterdrückung des Denkens durch organisierte Spiritualität (Religion) ist.

Ks These ist meiner Auffassung nach, dass das Denken seinen Platz im Leben finden muss, anstatt das Zentrum des menschlichen Bewusstseins zu sein. Dieses Zentrum nimmt das Denken laut K aber dadurch ein, dass es einen Denker erfindet, der eine Autorität über den Geist darstellt (das “ich” oder ahamkara). Durch Investigation in das Denken und damit letztlich auch in den Ich-Gedanken entdeckt man die Natur des Denkers, der – wie alle Gedanken – lediglich ein Sammelsurium vergangener Erfahrungen und Sinneseindrücke ist und damit im gegenwärtigen Moment eigentlich nicht existiert. Da wir das aber im Alltag nicht sehen, handeln wir nicht der gegenwärtigen Situation entsprechend, sondern reagieren bloß mithilfe unserer Vergangenheit. Dadurch bleibt das Ich erhalten und macht so die Vergangenheit über die Gegenwart zur Zukunft. Das ist Teil dessen, was man sonst als Samsara bezeichnen würde.

Und wenn ich diese Wörter wie Samsara oder Ahamkara benutze, merke ich, dass genau das eigentlich der allerwichtigste Punkt zu K ist. Er hat nie diese alten, vorbelasteten und behafteten Sanskrit-Begriffe benutzt. Er hat viel von Sanskrit gehalten und hatte auch mindestens einen nahen Angestellten, der Sanskrit Gelehrter war, aber er selbst hat es vermieden, diese Begriffe zu verwenden. Stattdessen hat er es geschafft, auf Englisch, Französisch oder Italienisch zu beschreiben, was er meint. Das hilft uns, uns von diesen Fremdwörtern, die so schnell so mystisch erscheinen, zu lösen und stattdessen mit unserer westlichen Denkweise zu arbeiten. So können wir in die Wirkweise des Geistes eintauchen und diesen durch echte Erkenntnis durchleuchten und verstehen. Wenn wir dann Sanskrit-Begriffen begegnen und deren Bedeutung lernen, dann ist es etwas anderes, als wenn wir zuerst die Begriffe lernen und nur abstrakt lernen, was deren Bedeutung ist. 

Wenn man sich über Krishnamurti hinaus mit den Lehren des Gautama Siddhartha oder auch Adi Shankara beschäftigt, findet man immer wieder viele Parallelen zu Krishnamurti. Würde man Krishnamurti einem Yoga-Stil zuordnen wollen (was er freilich komplett ablehnen würde), würde ich sagen, dass er an erster Stelle ein Jnana Yogi war (Yoga der Erkenntnis), der aber auch tägliche Asana und Pranayama Praxis gemacht hat (eher dem Hatha Yoga zuzuordnen) und generell sehr hoch von Raja Yoga gesprochen hat, während seine Aufforderung, seine Wahrnehmung zu schärfen, um in der Lage zu sein, zu erkennen, dass es einer Handlung bedarf, um daraufhin zu tun, was zu tun ist, ohne, dass man einen Gedanken daran verschwendet, welche Ergebnisse dieses Handeln erzeugen, dem Karma Yoga entspricht (hierzu auch der Podcast der Krishnamurti Foundation mit einer Sammlung von Ausschnitten, in denen K über Yoga spricht: Episode 101 – K on Yoga). 

Man kann also sagen, dass Krishnamurti – ohne selbst viele Wörter über Yoga zu verschwenden – ein ziemlich umfassender Yogi war, ohne das von sich selbst zu behaupten. Und daran erkennen wir auch die Wichtigkeit und Ernsthaftigkeit einer seiner Kernaussagen: “Das Wort ist nie die Sache”. Man ist kein Yogi, nur weil man Hatha Yoga übt. Man ist kein Yogi, nur weil man sich mit Yoga beschäftigt, weil man Mantras singt, weil man viel Wissen erlangt oder abstrakt versteht, was Karma Yoga ist. Man ist kein Yogi, bloß weil man in Samadhi verharren kann. Man ist kein Yogi, wenn man dieses Wort als Beschreibung für sich selbst verwendet. Und gleichzeitig kann man selbst ohne das ganze Wissen der vedischen Traditionen mehr Yogi sein, als der Mensch, der sich besonders viel damit beschäftigt. (vgl. auch der Dialog zwischen K und Swami Venkatesananda aus 1969: Teil 1 Teil 2)

Und trotzdem wäre es falsch, K’s Lehre als eine Erweiterung Shankaras oder Gautamas Lehre anzusehen, wenngleich sich solche Parallelen finden. Shankara war selbst noch sehr verhaftet in vedischer und yogischer Tradition und hat auch eine Interpretation des Raja Yoga vorgegeben. Krishnamurti hingegen lehnt jegliche Art von System oder Weg ab und zielt eher auf choiceless awareness, was man als “Sati” im Buddhismus kennt. Allerdings betont K, dass es eben nicht Sati und auch nicht Vipassana ist, was er beschreibt, da diese Worte konzeptionalisiert wurden und damit zu Systemen wurden, was wiederum das Gegenteil von choiceless awareness ist. (vgl. auch die fünfteilige Reihe “In dialogue with Buddhist scholars”: Teil 1, 2, 3, 4, 5)

Es ist unsinnig zu sagen, dass man Sati macht, wenn das nur eine Pause vom Alltag ist, der chaotisch und voller “choiceful” awareness ist. K betont, dass es eben der Alltag ist, der in Ordnung gebracht werden muss. Bevor das nicht passiert, braucht man gar nicht erst mit Meditation anzufangen, da diese Meditation von dem Chaos geprägt sein wird, von dem der Alltag ebenfalls geprägt ist. Gleichzeitig spricht K darüber, dass Meditation “the beginning of self knowledge” ist, dass man also die Natur des Ich-Gedanken erschließt und erkennt, wie dieser den Alltag bestimmt und Teilung im Geist erzeugt, was letztlich zu Konflikten im Geist und in der zwischenmenschlichen Ebene bis hin zu Kriegen zwischen Nationen führt. Diese Teilung im Geist erzeugt der Ich-Gedanke durch eine Autorität, zu der er sich im Vergleich zu den anderen Gedanken, Emotionen und Sensationen, die im Geist stattfinden, macht. Diese Teilung muss von diesem Ich-Gedanken aufrechterhalten werden, damit der Ich-Gedanke weiter existiert. Gleichzeitig ist Teilung laut Krishnamurti der Ursprung für jeglichen Konflikt. Das heißt, dass der Ich-Gedanke der Grund für den Konflikt im Geist und letztlich der Grund für den Konflikt zwischen den Menschen ist.

Dies im Alltag zu erkennen, indem man eine ständige Beobachtung des Geistes vollzieht – zunächst durch einen Beobachter – führt zu Klarheit. Der Beobachter selbst wird später aufgelöst, durch die Erkenntnis, dass der Beobachter das Beobachtete selbst ist. Krishnamurti lehnt jedoch die Idee ab, dass diese Erkenntnis im Laufe der Zeit zustande kommt. Meiner Auffassung nach ist seine Haltung gegen die Zeit eine logische Konsequenz seiner These. Da die Zeit (in Form der Vergangenheit) der Grund für das Denken und damit den Denker ist, wäre ein Zugang zum Höchsten über Zeit nur ein weiterer Aspekt des Ego (vgl. auch mein Artikel “Spiritualität – (k)ein bloßer Abschnitt des Lebens?”). 

Gleichzeitig (lol) erlaubt ein Zugang über Zeit immer auch eine Ausrede, dass es noch Zeit brauche, bis man eine Erkenntnis hat, bis man sich verändert, verbessert oder was auch immer hat. Die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Erkenntnis wird dadurch heruntergespielt und man erlaubt sich, sich mit Dingen zu beschäftigen, die eigentlich wesentlich weniger wichtig sind, als die Erkenntnis der Natur des Selbst. Deshalb kann es zwar sein, dass eine Erkenntnis nicht sofort zustande kommt, aber das bedeutet nicht, dass wir uns erlauben dürfen, von vornherein einen Prozess anzunehmen, an dessen Ende eine Freiheit vom Selbst steht. Die Freiheit, die dafür notwendig ist, muss bereits zu Beginn vorhanden sein, denn ohne Freiheit kann eine Investigation in den Geist nicht möglich sein. Wer nicht frei ist, seinen Geist zu beobachten und das Geglaubte in Frage zu stellen, sondern stattdessen an bestimmten Schlussfolgerungen, Grundsätzen oder Ideen festhält, wird auch nicht frei von seinem Selbst sein können. Freiheit oder Moksha ist also nicht das Ende des spirituellen Lebens, sondern der Anfang. 

Und das ist einer der Gründe, weshalb organisierte Spiritualität so gefährlich ist. Sie stellt klare Strukturen auf, innerhalb derer sich bewegt wird und verkennt, dass diese Strukturen wie Gefängnisgitter sind, die uns daran hindern, wirklich frei zu sein. Wer glaubt, eine individuelle Seele zu sein, verkennt die Einheit des Ganzen, bis der Gedanke an die individuelle Seele abgelegt wird. 

“By mistaking the self to be the individual soul, as a rope for a serpent, one is subject to fear. But if one realises, ‘I am not the individual soul, but the Supreme Self’, then one is free from fear.”

Adi Shankaracharya

K’s Ablehnung der Suche nach etwas Höherem ist meiner Auffassung nach darin begründet, dass der Mensch zunächst seinen Alltag ordnen soll, so dass der Geist geordnet ist. Das Höhere wird sich dann ergeben, oder eben nicht. Es ist ähnlich wie bei Yoga, wo es nicht darum geht, besondere Fähigkeiten zu erlangen oder besonders tolle spirituelle Erfahrungen zu machen. Es geht darum, seinen Körper, die Emotionen, Energie und das Mental zu koordinieren. Der Rest ergibt sich.

Und wenn wir uns nun einig sind, dass echte Erkenntnis ein Zuwiderhandeln gegen diese Erkenntnis unmöglich macht, wird klar, wieso Krishnamurti so vehement gegen organisierte Spiritualität, die auf einem Zeitbegriff beruht, argumentiert hat. Eine Sache, die mir persönlich dazu aufgefallen ist, ist folgende: Nahezu jede Religion bringt uns in eine Stagnation, weil sie uns auffordert, auf jemanden zu warten, der uns weiterbringt. Das Judentum wartet auf den Messias, das Christentum auf die Rückkehr Jesu’, der Islam auf die Rückkehr Mohammeds, der Buddhismus auf den Maitreya und der Hinduismus auf die verschiedenen Avatare. Keine der Religionen sagt “Du kannst genau der Mensch sein, auf den wir immer gewartet haben”. Die Verantwortung wird immer abgegeben, wird immer auf die Zukunft verschoben, ob es nun die eigene nächste Inkarnation ist oder der erwartete Heiland, der uns endlich erlöst. Das ist letztlich Krishnamurtis stärkstes Argument, wenn er sagt: “Ich bin verantwortlich dafür, dass sich die Welt ändert – denn Ich bin die Welt und die Welt ist Ich.” 

Worauf warten wir also eigentlich?

Wer sich wirklich eingehend mit Krishnamurtis Lehre auseinandersetzen will, dem empfehle ich den 18-teiligen Dialog mit Allan W. Anderson. In diesen knapp 18 Stunden hat K tatsächlich mal den Raum bekommen, sein Denken und Wirken auszubreiten und kohärent darlegen zu können: J. Krishnamurti in dialogue with Allan W. Anderson – A wholly different way of living.

Und wer sich mit den eher metaphysischen und esoterischen Themen aus K’s Sicht beschäftigen will, dem seien die Dialoge mit dem Quantenphysiker Dr. David Bohm ans Herz gelegt. Zum Beispiel der 15-teilige Dialog J. Krishnamurti & David Bohm – The ending of Time

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